Vom 13. Bis 16.10.2025 reisten zehn interessierte Gewerkschafter:innen auf Einladung von solidar in die Republik Moldau, um die Lebens- und Arbeitsrealitäten in einem der ärmsten und am wenigsten besuchten Länder Europas kennenzulernen.
Tag 1 – Montag, 13. Oktober: Ankunft und Kennenlernen
Nach der Anreise am Montag begann das offizielle Programm der Begegnungsreise am späten Nachmittag mit einem Spaziergang durch Chișinău zu einem traditionellen Restaurant. Bei einem Abendessen mit typischen moldauischen Gerichten wie Mămăligă und Gegrilltem hatten die Teilnehmer:innen Gelegenheit, sich gegenseitig kennenzulernen und die Erwartungen sowie den Ablauf der kommenden Tage zu besprechen.

Tag 2 – Dienstag, 14. Oktober: Transnistrien entdecken
Am Dienstag, ein Feiertag in Chișinău, unternahm die Gruppe eine geführte Exkursion nach Transnistrien, der abtrünnigen Region östlich des Dnister. Das international nicht anerkannt De-facto-Regime in Transnistrien entzieht sich seit Beginn der 1990er-Jahre der moldauischen Kontrolle. Transnistrien verfügt über eine eigene Regierung, ein eigenes Militär, eine eigene Währung und ist größtenteils russischsprachig. Rund 250.000 der 347.000 Einwohner:innen Transnistriens besitzen außerdem einen russischen Pass. Der Konflikt zwischen Moldau und Transnistrien gilt seit 1992 als „eingefroren“.
Ziel der Exkursion waren die „Hauptstadt“ Tiraspol sowie die zweit größte Stadt Bender. Nach passieren der Grenze, die nur einseitig von Transnistrien, unterstützt von russischen Soldaten, kontrolliert wird, fiel sofort die allgegenwärtige russische aber vor allem auch sowjetische Symbolik auf: Von russischen Fahnen über Hammer und Sichel, Denkmäler bis hin zur kyrillischen Schrift.
Bei der Einfahrt nach Tiraspol sticht das Logo eines Sheriffsterns auf einer riesigen Sportanlage, Supermärkten und Tankstellen ins Auge. Die Reiseführerin erklärt, als größtes Unternehmen Transnistriens kontrolliert „Sheriff“ rund 60 % der Wirtschaft und betriebt u.a. die einzigen Tankstellen- und Supermarktketten.
Im Stadtzentrum werden entlang der Straße des 25. Oktober wichtige Gebäude, Denkmäler und die große Gedenkstätte für den Zweiten Weltkrieg, den Afghanistan-Krieg und den Transnistrienkrieg besucht. Vor dem Regierungsgebäude steht eine der größten Lenin-Statuen, welche ursprünglich für Berlin gefertigt wurde, aufgrund des Zerfalls der Sowjetunion jedoch in Tiraspol aufgesellt wurde. Das Alexander-Suworow-Denkmal erinnert an den Begründer der Stadt im Jahr 1792.

Vor dem Besuch des zentralen Marktes wechseln die Teilnehmer:innen noch transnistrische Rubel. Eine Währung, die international nicht anerkannt und damit außerhalb Transnistriens wertlos ist.

Nach einem ausgiebigen Mittagessen im Restaurant „Zurück in der Sowjetunion“ setzt die Gruppe die Fahrt nach Bender fort. Dort wird die Festung Tighina besichtigt, welche erstmals bereits im 15. Jahrhundert von Stefan dem Großen, dem bedeutendsten Fürsten Moldaus, errichtet wurde. Abschließend wurde bereits in der Dämmerung noch der stillgelegte Bahnhof der Stadt besucht. Die Exkursion verdeutlichte, die unterschiedlichen Perspektiven auf den Konflikt sowie die Schwierigkeiten diesen zu lösen.

Tag 3 – Mittwoch, 15. Oktober: Chișinău und Cricova
Am Vormittag besuchte die Gruppe das Parlamentsgebäude, das während der Sowjetzeit Sitz der Kommunistischen Partei war und heute das nationale Parlament beherbergt. Die Form des Gebäudes stellt jene eines offenen Buches dar. In Moldau fanden erst jüngst, nämlich am 28. September 2025, Parlamentswahlen statt, welche erneut in einer Mehrheit der pro Europäischen Kräfte resultierte.

Im Anschluss an Besichtigung des Parlaments erkundeten die Teilnehmer:innen bei einer Stadtführung die wichtigsten Gebäude, Plätze und Denkmäler von Chișinău und erhielten so einen umfassenden Eindruck von der Geschichte der Hauptstadt.
Am Abend stand der Besuch des Weinkellers Cricova auf dem Programm. Bereits während der Sowjetzeit war Moldau eine der wichtigsten Wein-, Obst und Gemüseproduzent:innen der Region. Moldau beherbergt unter anderem deshalb die weltweit größten zwei unterirdischen Weinkeller der Welt. Cricova, gegründet 1952, ist mit 120 Kilometern Stollen, die ehemals für den Kalkabbau genutzt wurden, der zweit größte. In den Kellern lagern und reifen qualitativ hochwertigste Weine in kontrollierter Umgebung. Auch die Weinsammlung in Cricova zählt zu den umfangreichsten des Landes. Rund 700 Personen sind in Cricova angestellt, 200 davon arbeiten in den Kellern. Die Führung verdeutlicht somit die wirtschaftliche Bedeutung des Weinsektors für Moldau.
Tag 4 – Donnerstag, 16. Oktober: Bucuria und Gewerkschaftsgespräche
Der letzte Tag der Reise bot intensive Einblicke in die Arbeitswelt und gewerkschaftliche Praxis. Der Tag begann mit einem Betriebsbesuch beim Süßwarenhersteller „Bucuria“, dem größten Produzenten des Landes. Die Gruppe wurde von einer Mitarbeiterin durch die Produktionsräume geführt, begleitet von der Betriebsratsvorsitzenden Eugenia sowie Vasile Mămăligă, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft für Landwirtschaft und Lebensmittel „AGROINDSIND“. Besichtigt werden die Herstellung der bekannten Süßigkeit „Do-Re-Mi“ sowie der Schokoladenwaffeln. Bucuria beschäftigt rund 1.050 bis 1.300 Mitarbeiter:innen und produziert jährlich etwa 10.000 Tonnen Süßwaren. Rund 70% der verwendeten Rohstoffe stammt aus lokalen Quellen.

Im Anschluss an die Führung standen Vasile Mămăligă und Eugenia zu einem ausführlichen Austausch über die Gewerkschaftsarbeit im Sektor sowie im Betrieb bereit. Vasile Mămăligă verdeutliche, dass die Herausforderungen für Gewerkschaften in Moldau groß sind. Der Mindestlohn im Sektor liegt inzwischen bei etwa 400 Euro, und damit über dem Landesdurchschnitt. Dennoch bleibt die Abwanderung von jungen Menschen ein zentrales Problem: Rund ein Drittel der Erwerbsbevölkerung arbeitet mittlerweile im Ausland, insbesondere in EU-Ländern, während früher Russland das Hauptziel war. Unternehmen wie Bucuria müssen inzwischen Arbeitskräfte aus Ländern wie Nepal, Pakistan und der Ukraine rekrutieren. Gleichzeitig kämpfen Gewerkschaften mit niedrigen Mitgliedszahlen, da vereinbarte Rechte oft nicht umgesetzt werden. Ein weiteres drängendes Problem ist die niedrige Beschäftigungsquote junger Menschen.
Auch bei Bucuria sind nur rund 20% der Beschäftigten junge Arbeitnehmer:innen, wobei arbeitende Pensionist:innen im Betrieb rund 30% ausmachen, ergänzt Eugenia. Sie berichtet aber auch über gewerkschaftliche Erfolge im Betrieb: In den rund eineinhalb Jahren, seit sie als Betriebsrätin tätig ist, sind die Mitgliedzahlen im Betrieb wieder gestiegen. Gezielte Maßnahmen wie Informationsseminare für junge Arbeitnehmer:innen, Prämien ab dem ersten Dienstjahr und Freizeitaktivitäten, aber vor allem intensive Überzeugungsgespräche und auch die Unterstützung durch die Geschäftsführung haben geholfen, die Mitgliedszahlen wieder zu steigern. Kollektivverträge werden alle drei Jahre auf Betriebsebene verhandelt, wobei Anpassungen des Lohns jährlich vorgenommen werden. Die ausgehandelten Errungenschaften gelten nur für Gewerkschaftsmitglieder. Der Gewerkschaftsbeitrag beträgt 1%, davon bleiben 70% im Betrieb und 30% gehen an die Branchengewerkschaft.

Nach einem Mittagessen trifft die Reisegruppe am Nachmittag im Gebäude des moldauischen Gewerkschaftsbundes CNSM wichtige Vertreter:innen von CNSM und einem Großteil der Branchengewerkschaften zu einem Austausch, bei welchem diese Themen weiter vertieft werden. CNSM hat 24 Mitgliedsorganisationen und vertritt insgesamt 280.000 Mitglieder bei 2,5 Millionen Einwohner:innen. Anwesend beim Austausche waren neben Präsident Igor Zubcu, Vizepräsidentin Lilia Franț der internationale Sekretär Valeriu Cazacu, Vertreter:innen Vertreter:innen der Gewerkschaft für soziale Dienstleister:innen „SINDINDCOMSERVICE“, der Gewerkschaft im Bereich Bildung und Wissenschaft, der Gewerkschaft für Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung, der Gewerkschaft öffentlicher Dienst “SINDASP”, der Gewerkschaft im Bereich Kultur sowie der Gewerkschaft im Bereich Verbraucher und Handel “MOLDSINDCOOPCOMERŢ”.

Die Igor Zubcu betonte die Notwendigkeit, Gewerkschaften zu stärken, das Vertrauen der Bevölkerung zu erhöhen und sich an europäischen Standards zu orientieren. Außerdem wurde diskutiert, wie soziale Sicherheit, faire Löhne und bessere Arbeitsbedingungen die Abwanderung bremsen und das Land langfristig stabilisieren könnten.
Den Abschluss der vier intensiven Tage bildete der Nationalfeiertagsempfang der österreichischen Botschaft im Palast der Republik, bei dem sich die österreichische Delegation mit Vertreter:innen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Zivilgesellschaft austauschen konnte. Die Begegnungsreise hinterließ den Teilnehmenden nicht nur tiefe Einblicke in Moldau, sondern auch die Erkenntnis, wie wichtig gewerkschaftliches Engagement in einem Land mit wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen ist.

Im Rahmen der Begegnungsreise wurde zudem eine neue Podcastfolge für solidar – das entwicklungspolitische Magazin produziert. Darin berichten sowohl Teilnehmer:innen der Delegation als auch moldauische Gewerkschafter:innen über die historische Entwicklung, aktuelle Herausforderungen und ihre Eindrücke aus den Begegnungen vor Ort.
Die Sendung ist unter folgendem Link abrufbar: https://de.cba.media/743742.
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