Original: Arbeit&Wirtschaft

Ganz schön turbulent waren die vergangenen Wochen in der benachbarten Slowakei. Tausende Menschen gingen landesweit auf die Straße. Bis zu 100.000 Menschen sollen sich zuletzt in verschiedenen Städten der Slowakei versammelt haben. Auch außerhalb der Slowakei fanden kleinere Proteste in 13 anderen Städten statt, darunter Berlin, Brüssel, London und sogar New York City.

Sie sind unzufrieden mit dem prorussischen und antiwestlichen Kurs von Premierminister Robert Fico. Und mit seiner links-populistischen Partei Smer, die gemeinsam mit der linkspopulistischen Hlas Partei – gegründet von Präsident Peter Pellegrini – und der rechtsextremen Slowakischen Nationalpartei (SNS) koaliert. Auslöser für die Proteste in der Slowakei war Ficos Besuch in Moskau Mitte Dezember. Dort traf er sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, um die Beziehungen zu Russland zu stärken. Ein Schritt, der von den meisten Regierungen in der EU bewusst nicht gemacht wird.

Fico erklärte Wolodymyr Selenskyj Ende Jänner zum Feind, nachdem dieser, wie lange angekündigt, die russischen Gaslieferungen an die Slowakei eingestellt hatte. Die Militärhilfen für die Ukraine setzte Fico aus, kritisierte die EU wegen der Russland-Sanktionen und versprach gegen einen NATO-Beitritt der Ukraine anzukämpfen.

Solidarität mit der Ukraine aus der Bevölkerung

All das treibt die Proteste in der Slowakei weiter an und führt dazu, dass sich auch immer mehr Menschen in ländlichen Gebieten versammeln. „Es ist keine Kunst, wenn in Bratislava 50.000 und in Košice 15.000 Menschen protestieren. Wenn sich aber 300 Menschen in Gelnica versammeln, ist Schluss [für Ficos Regierung]“, fasste es eine Lehrerin bei ihrer Rede in der zweitgrößten Stadt des Landes, Košice, zusammen.

Die Botschaft der Protestierenden ist eindeutig: Die Slowak:innen sehen ihr Land ganz klar in der EU und NATO – und daran soll sich nichts ändern. Sie sprechen der Ukraine ihre Solidarität aus und erkennen Russland als Aggressor in diesem Konflikt.

Vom Thema ablenken

Fico stellt die Proteste hingegen als Putschversuch dar. Dass die Vorwürfe eines geplanten Putsches Unsinn sind, davon ist auch Grigorij Mesežnikov vom Institute for Public Affairs in Bratislava überzeugt. „Die Gerüchte über einen Coup d‘État sind völlig abwegig. Fico muss sich jetzt die Bedingungen für sein Überleben schaffen“, sagt der Experte im Interview mit Arbeit&Wirtschaft. Viele der Protestierenden und Oppositionellen meinen nämlich, der Premier solle zurücktreten.

Das führt unter anderem dazu, dass Fico mit emotional aufgeladenen Themen ablenkt. Ende Jänner kündigte er eine Verfassungsänderung an, um die Rechte von gleichgeschlechtlichen Paaren und Transgenderpersonen einzuschränken. Themen rund um die LGBTQIA+-Community werden hier eher als politisches Werkzeug genutzt, um konservative Wähler:innen zu mobilisieren und von Ficos politischen Misserfolgen abzulenken.

Fico schreckt Investor:innen ab

Die Abneigung gegenüber demokratischen Kerninstitutionen und die unklare außenpolitische Ausrichtung führen zu einer ungünstigen wirtschaftlichen Lage. Ficos Politik schreckt Investor:innen ab, sagt Mesežnikov. „Internationale aber auch slowakische Geldgeber sind im derzeitigen politischen Klima sehr vorsichtig. Es ist schwer, vorherzusagen, was die nächsten Schritte der Regierung sein werden“.

Nachdem zwei Abgeordnete der Koalitionspartei Hlas, unter Führung von Innenminister Matúš Šutaj Eštok, überraschenderweise zurücktraten, scheinen die Karten wieder neu gemischt.  Ficos ohnehin schon knappe 79-köpfige Koalition schrumpfte im Februar auf 77 Mitglieder. Die Mehrheit von 76 Sitzen war damit nur knapp erreicht. Stabilität war eines der Wahlversprechen von Fico.