Plattformökonomie ist in aller Munde – vor allem bei jenen, die sich über die bekannten Plattformen wie Lieferando oder Mjam Essen bestellen. Das Konzept der Gigwork oder auch „Uberisierung“ der Arbeit macht aber nicht bei kalter Pizza halt – deshalb ist eine branchen- und länderübergreifende Vernetzung notwendig.

Unter Plattformarbeit versteht man Tätigkeiten, die über eine digitale Plattform organisiert und gesteuert werden. Man kann grob unterscheiden in örtlich ungebundene Tätigkeiten wie z. B. Grafikdesign oder Texten, und ortsgebundene Tätigkeiten wie Pflege, Reinigung, Fahrtendienste oder eben Essenszustellung. Gemeinsam hat diese Form der Arbeitsorganisation das sie automatisiert mit Hilfe von Algorithmen gesteuert wird und oft mit maximaler Flexibilität beworben wird. Allerdings ist vielmals auch Prekariat und unklare Arbeitsverhältnisse ein gemeinsamer Faktor – zumeist sind Beschäftigte als Selbstständige von den Plattformen klassifiziert. Das ist oft leider eher einer Risikoauslagerung geschuldet als tatsächlicher Selbstständigkeit. Somit werden einer Gruppe arbeitsrechtliche Mindeststandards wie Urlaub, Krankenstand oder Mindestlöhne (oft selbst gewerkschaftliche Organisation!) vorenthalten, die zweite Gruppe als genuin Selbstständige sieht sich durch die Plattformeneingeschränkt in ihrer Freiheit Aufträge anzunehmen oder Preise selbst zu bestimmen. Die meisten Plattformen verstehen sich nicht als ArbeitgeberIn, sondern lediglich als „Vermittlungsplattform“ oder reines Technologieunternehmen. Damit sehen sie sich auch bei grundlegenden Pflichten als Arbeitgeber außen vor. Diese Form der Arbeitsorganisation lässt sich als Blaupause in den verschiedensten Bereichen etablieren, weswegen oft auch von der Zukunft der Arbeit gesprochen wird.

In den letzten Jahren gab es unzählige Gerichtsverfahren in ganz Europa, um die Beschäftigungsverhältnisse zu klären. Die Urteile gingen zumeist zugunsten der ArbeitnehmerInnen aus – trotzanderslautender Behauptungen der Unternehmen. Durch der Lobbyingtätigkeit von Gewerkschaften und progressiven Kräften im EU-Parlament hat die EU-Kommission Ende 2021 einen Richtlinienvorschlag veröffentlicht, welcher ein Mindestmaß an Regulierung vorsieht. Kernelement ist eine Grundannahme eines Anstellungsverhältnisses, welches aber von der jeweiligen Plattform widerlegt werden kann. Ziel ist eine starke Richtlinie, welche schlussendlich ArbeitnehmerInnen ihre Rechte bringt und genuin Selbstständigen ihre Freiheiten garantieren soll. Vor allem in Westeuropa haben sich über die Jahre Initiativen seit dem Aufkommen der ersten Plattformen gebildet, die oft eng mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten. Österreich ist mit dem ÖGB-Projekt RidersCollective mit an Bord.

RidersCollectiv-Space

Seit mittlerweile drei Jahren engagiert sich das RidersCollective im Bereich der Plattformarbeit. Um substanzielle Verbesserungen hervorbringen zu können ist die Initiative auf die vulnerable und sichtbare Gruppe der EssenszustellerInnen fokussiert. Vom europäischen Gewerkschaftsbund als Vorzeigeprojekt auserkoren, konnte im September 2022 die erste „Fair Work – Fair Future“-Konferenz (www.riderscollective.at/ffk22) in der ÖGB-Zentrale mit über 100 TeilnehmerInnen aus mehr als 20 Staaten ausgerichtet werden. Schwerpunkt war die viel diskutierte Richtlinie, deren Ausrichtung zu diesem Zeitpunkt nichts Gutes verhieß.  Es hat sich dabei um eine Auftaktveranstaltung gehandelt, die jährlich der Vernetzung und Weiterbildung der Gewerkschaften bzgl. der vorgeblichen „Zukunft der Arbeit“ dient und den Austausch zwischen den Ländern und den jeweiligen Initiativen fördern wird.

Der Richtlinienvorschlag der EU-Kommission ist in konservativen Politikkreisen umstritten, was eventuell mit der massiven Lobbyingtätigkeit der betroffenen Konzerne zusammenhängen könnte. Plattformarbeit ist keine Randerscheinung oder reine Nebenjobs für Studierende. Die Kommission geht von 28 Millionen Menschen in der EU aus, die ihren Lebensunterhalt entweder teilweise oder vollständig mit Plattformarbeit bestreiten. Bis zu fünf Millionen Beschäftigte könnten demnach von einer Re-Klassifizierung als ArbeitnehmerInnen profitieren. Im November kam es zu weiteren Abstimmungen in den Fachgremien bzgl. der Richtlinie - mittlerweile leider mit einigen Schwächungen des Ursprungsentwurfes. Das RidersCollective war auf Einladung des EGB in Straßburg, um ZweiflerInnen unter den Abgeordneten mit Berichten aus der täglichen Arbeit mit Plattformbeschäftigten von der Notwendigkeit einer Regulierung zu überzeugen. Die größte (zumindest kommunizierte) Besorgnis in konservativen Politikkreisen wäre eine falsche Einordnung von genuin Selbstständigen unter ein Anstellungsverhältnis, was aber weder die Intention des EGB, der Rapporteure noch der Kommission ist.

Das RidersCollective wurde im Jänner erneut zu einer Aktion in Straßburg geladen, diesmal kurz vor einer wichtigen Abstimmung im EU-Parlament über die Ausrichtung der Richtlinie. Über ein Jahr von Verhandlungen und Lobbying durch internationale Konzerne aber auch den EGB, im Rat wie auch in Ausschüssen, haben einen verwaschenen Entwurf und einen progressiven Gegenentwurf hervorgebracht. Mit einer gemeinsamen Fotoaktion von GewerkschafterInnen und EU-Abgeordneten aus ganz Europa wurde erneut auf die Relevanz einer Regulierung der Plattformökonomie aufmerksam gemacht. Das Parlament hat nach erfolgreicher Abstimmung nun einer progressiven, richtungsweisenden Richtlinie zugestimmt, über die in Folge noch verhandelt wird.

Die Zusammenarbeit der Gewerkschaften auf EU-Ebene und die Kooperation mit Initiativen konnten in den letzten Jahren dem komplexen Themenbereich die notwendige Aufmerksamkeit in der Politikverschaffen. Enger Austausch mit Beschäftigten ermöglicht es einen differenzierten Blick auf die Thematik und ein Gegengewicht zum massiven Lobbying der Plattformunternehmen zu geben. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten einige Erfolge verbucht werden, jetzt kommt die nächste heiße Phase der Verhandlungen im EU-Ministerrat und Trilog – von der nationalen Umsetzung der Richtlinie ganz zu schweigen. Das RidersCollective bleibt als aktiver Akteur Teil der Entwicklungen, auf europäischer Ebene wie auch in Österreich. Plattformarbeit ist mehr als Uber-Taxi oder Essen bestellen – umso wichtiger ist es, sich nicht dem Diktat von weltweit agierenden Konzernen zu beugen und errungene Rechte für vorgebliche Innovation zu verkaufen.

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