Mitte Mai einigten sich das Amazon Management und VertreterInnen von Beschäftigten aus verschiedensten europäischen Ländern auf die Einrichtung eines Europäischen Betriebsrates (EBR). Dem ist ein langer und schwieriger Verhandlungsprozess vorangegangen, in dem das Unternehmen mit viel Widerstand versucht hat, einen funktionsfähigen EBR zu verhindern. Die nun abgeschlossene Vereinbarung ermöglicht den VertreterInnen der europäischen Beschäftigten in mehreren wirtschaftlichen Angelegenheiten ein Recht auf Information und Konsultation vor einschneidenden Unternehmensentscheidungen. Da der Wirkungsbereich jedoch begrenzt wurde, ist die Vereinbarung nur ein erster Schritt zu mehr Mitbestimmung bei Amazon.

Europäischer Betriebsrat: What’s that?

Ein EBR fußt auf einer EU-Richtlinie und betrifft Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen in grenzübergreifend tätigen Unternehmungen, die insgesamt mehr als 1.000 Beschäftigte und in mindestens zwei europäischen Ländern jeweils mehr als 150 Beschäftigte haben.

Ziel Europäischer Betriebsräte ist es, dass Beschäftigte in europaweit operierenden Konzernen über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens informiert und zu bestimmten Entwicklungen, die für die Beschäftigten von Auswirkung sind, angehört werden. Herzstück für die Arbeit des Europäischen Betriebsrates bildet die EBR-Vereinbarung, die in einem Verhandlungsgremium vor der Gründung zwischen Geschäftsführung und BelegschaftsvertreterInnen ausgehandelt wird.

EBR-Vereinbarung: Zwei jährliche Sitzungen, aber hohe Schwellenwerte für Informations- und Konsultationsverfahren

Zu Beginn der über vier Jahre andauernden Verhandlungen über eine Vereinbarung zeigte sich die Unternehmensleitung mit ihrer klassisch anti-gewerkschaftlichen Haltung und versuchte den Prozess hinauszuzögern. Nach einer Pandemie-bedingten änderte Amazon Ende 2021 jedoch seine Strategie und zeigte sich konstruktiver.

Die nun abgeschlossene Vereinbarung sieht zwei Jahresversammlungen des EBR mit der Geschäftsleitung sowie vier Sitzungen des engeren Ausschusses (Vorstand bzw. Präsidium) des Europäischen Betriebsrates vor. Ausverhandelt wurde auch, dass der EBR an 15 Tagen pro Jahr externe Sachverständige zur Ausübung seiner Arbeit hinzuziehen kann und allen EBR-Mitgliedern fünf Tage an Schulungen innerhalb der nächsten vier Jahre zur Verfügung stehen. Der EBR bei Amazon umfasst 35 BeschäftigtenvertreterInnen aus ganz Europa, einschließlich des Vereinigten Königreichs.

Zu den Schwachstellen der Vereinbarung zählen jedenfalls die hohen Schwellenwerte für einen Sitz im Europäischen Betriebsrat. Erst ab 1000 Beschäftigten pro Land, kann ein/eine VertrerIn in das Gremium entsandt werden. Bei einer länderübergreifenden Unternehmensentscheidung, die Auswirkungen auf die Beschäftigung hat, muss erst ab einer Betroffenheit von 5% (d. h. 12.000 ArbeitnehmerInnen in der EU) der Beschäftigten das Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren mit dem EBR eingeleitet werden.

Fragen hat auch die plötzliche Entscheidung der Amazon-Geschäftsführung aufgeworfen, den Gerichtsstand für die EBR-Vereinbarung von Luxemburg nach Irland zu verlegen. Der Inselstaat ist für sein gering ausgeprägtes Arbeitsrecht bekannt.

Neben Information und Konsultation haben Beschäftigte auch das Recht, sich zu organisieren und mit dem Management zu verhandeln

Mathias Bolton, Leiter von UNI Global Commerce, der weltweiten Dienstleistungsgewerkschaft aus der Sparte Handel, fügte hinzu: "Wir werden genau darauf achten, dass Amazon sich an die Vereinbarungen hält. Gleichzeitig fordern wir die Geschäftsleitung von Amazon auf, mit den Gewerkschaften in einen angemessenen sozialen Dialog zu treten. Ebenso wie das Recht auf Unterrichtung und Anhörung haben die Beschäftigten grundlegenden Anspruch, sich zu organisieren und kollektive Verhandlungen zu führen; Amazon sollte dies respektieren."

Gianpaolo Meloni, italienischer Amazon-Mitarbeiter und Vorsitzender der Verhandlungsgruppe der Beschäftigten, äußerte sich ebenfalls: "Es war ein hartes Stück Arbeit und es gab Etappen, in denen die Verhandlungen festgefahren waren. Aber dank der fachkundigen Beratung durch die Gewerkschaften ist es uns gelungen, die Verhandlungen zu einem Abschluss zu bringen.“